Wie ein Lektorat wirklich abläuft - mit Beispielen
Ich wette, dass jedes deiner Lieblingsbücher lektoriert wurde. Manche Autoren fürchten das Lektorat, viele freuen sich darauf. Bei mir überwog die Ahnungslosigkeit - “Das Register” war mein erstes Buch mit professionellem Lektorat . Hier erzähle ich dir anhand von konkreten Beispielen wie so ein Lektorat abläuft.
Lektoren. Als Leser begegnet man diesen Menschen höchstens auf der letzten Buchseite (“Ich danke meiner Lektorin”) oder in einer Amazon-Rezensionen (“Den Lektor sollte man feuern!”). Lange Zeit habe ich mir Lektoren als den ultimativen Albtraum aller Autoren vorgestellt. Als entschlossene Verlagsmitarbeiter, die kettenrauchend über dicken Packen Schreibmaschinenpapier sitzen und eine Seite nach der anderen quer durchstreichen. Mit einem roten Kugelschreiber.
Ein gutes Lektorat ist jedoch das Beste, was einem Manuskript passieren kann. Buchautoren wissen das - und zahlen, wenn sie ihr Buch selbstständig veröffentlichen, freiwillig viel Geld für einen Lektor. Weil sie wissen, dass es sich lohnt.
Was aber genau beinhaltet ein Lektorat? Das erkläre ich dir in diesem Artikel, mit echten Beispielen aus dem Lektorat meines Zeitreise-Thrillers “Das Register”.
Das Lektorat kommt, wenn der Roman fertig ist
Im August 2018 hatte ich mein Buch Das Register offiziell für fertig erklärt. Ganze fünf Mal hatte ich den Roman bis dahin übearbeitet: Kapitel umgestellt, Figuren und Szenen gestrichen (und dann wieder hinzugefügt), immer wieder am Stil geschliffen. Mit dem Endergebnis war ich glücklich - und ich wollte die 600 Seiten meines Manuskript bitte nie wieder lesen müssen.
Das ist der Moment, in dem ein Lektor ins Spiel kommt.
Lektoren machen ein Buch besser. Genauer gesagt: Den Stil, den Inhalt, die Form. Lektoren haben nicht die Aufgabe, Rechtschreibfehler zu finden - das passiert im Korrektorat und sehr oft macht dieses Korrektorat jemand anderes, so auch beim Register.
Lektoren sind auch keine Ghostwriter. Sie stellen die Stärken eines Textes nach vorne und mildern die Schwächen, aber das Buch bleibt das gleiche. Nämlich das Buch, das der Autor schreiben wollte.
Damit genau das funktioniert, müssen Autor, Lektor und Buch perfekt zusammenpassen. Der richtige Lektor für den eigenen Roman hat viel Erfahrung, auch mit dem Genre - schließlich folgt ein Liebesroman ja ganz anderen Gesetzen als ein ScFi-Thriller. Außerdem muss die Chemie zwischen Lektor und Autor stimmen.
Wenn all das gegeben ist - dann ist es ein bisschen wie Zauberei, was Lektoren aus dem eigenen Buch machen. Kein Wunder, dass von den knapp tausend freien Lektoren in Deutschland viele über Monate ausgebucht sind.
Beim Register hatte ich ausgesprochenes Glück bei der Lektorensuche. Ich schrieb einfach die Lektorin eines meiner Lieblingsbücher an und stellte ihr mein Buch vor. Sie hatte Zeit und Interesse, auf ein Honorar konnten wir uns auch einigen. Jackpot!
Bevor wir richtig loslegten, machten wir ein Probelektorat - das ist ein kleiner Test, den die meisten Lektoren kostenlos anbieten. Schließlich müssen beide Seiten wissen, ob sie mit der Arbeitsweise des anderen zurechtkommen und man “miteinander kann”.
In meinem Fall hat das Probelektorat sehr gut funktioniert. Es konnte losgehen. Aber … wie?
Was im Lektorat passiert, oder: Ein Autor packt aus 😉
Die erste Phase eines Lektorats ist sehr einfach.
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Autor gibt Manuskript als ordentliche Word-Datei ab.
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Autor wartet gespannt.
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Autor bekommt eine Word-Datei zurück. Eine sehr bunte Word-Datei.
Aus jeder meiner 600 Manuskriptenseiten hatte meine Lektorin das hier gemacht:
Also. Es ist schlimmer als es aussieht. Wirklich.
Damit du eine Vorstellung davon bekommst, was meine Lektorin mir um die Ohren gehauen hat, hier mal drei typische Schnitzer.
Wortwiederholungen: Will keiner haben, denn sie sie stören den Lesefluss. Nach der x-ten Überarbeitung sehe ich sie trotzdem nicht mehr - und manchmal sind sie echt versteckt.
Behaupten, statt zeigen: Was ist an dem Satz “Tina sah ängstlich aus” falsch? Er ist eine Interpretation und damit deine Aufgabe als Leser. Ich als Autor sollte einfach mit starken Details beschreiben, wie Tina aussieht und sich verhält. Das ist übrigens deutlich anstrengender (für mich), aber vorbeimogeln bringt nichts.
Distanzieren: Was ist besser - “Er bemerkte, wie ein Ball über die Straße rollte” oder “Ein Ball rollte über die Straße”? Beides kann richtig sein und es kommt darauf an, welche Wirkung der Satz erzielen soll. Ich jedenfalls habe einen Hang zum “Distanzieren”, statt die Welt durch die Augen der Charaktere zu beschreiben.
Das waren drei Beispiele des sogenannten “Stillektorats”.
Ein Lektor achtet aber auf viel mehr als nur den Stil. Zum Beispiel auch darauf, dass es keine logischen Fehler im Manuskript gibt und der Text verständlich ist - gerade beim Register, das teils komplizierte Zeitparadoxa beschreibt, besonders wichtig. Und dann gibt es noch die vielen, vielen Kleinigkeiten. Beispielsweise, dass Orte und Personen immer der gleichen Schreibweise folgen und an den richtigen Stellen Abschnitte gemacht werden (jawohl, Abschnitte. Es gibt einen ganzen Schreibratgeber zu dem Thema!)
Es sind diese Details, die ein Buch verbessern.
Wie organisieren sich Autor und Lektor?
Der “Überarbeitungsmodus” von Microsoft Word ist die Arbeitsumgebung von Lektoren. Als Autor bekommt man das lektorierte Manuskript zurück und kann in vielen Fällen einfach auf “Vorschlag annehmen” klicken. Dann steckt die neue Formulierung im Manuskript, und fertig. Aber meistens ist es nicht so einfach.
Beim Register wusste ich zum Beispiel häufig, was meine Lektorin verbessern wollte, aber mir gefiel die Lösung nicht. Noch mehr Arbeit machten die Stellen, an denen mir nur eine Aufgabe gestellt wurde. Zum Beispiel: “Hier irgendetwas im Büro nutzen, das David auf diesen Gedanken bringt. Das Ding, das David auf den Plan bringt, sollte die Leser in alle möglichen Richtungen Vermutungen anstellen lassen.”
Ja. Cool. Hm.
Ich bin ein sehr langsamer Schreiber und sitze schon einmal eine ganze Stunde an so einer Aufgabe. Oder auch länger.
Was passiert nach dem Lektorat?
Nachdem alle Änderungen in das Manuskript eingearbeitet sind, hat der Roman ein anderes Gesicht - und es kann durchaus sein, dass nun neue Logikfehler, Wortwiederholungen oder seltsame Satzanschlüsse entstanden sind. Also: Noch einmal das komplette Manuskript feinschleifen. Und danach: Noch einmal.
Im Fall vom Register hat der ganze Prozess ein ganzes Jahr gedauert - und ich habe mein eigenes Buch entgegen aller Vorsätze noch sehr viele Male gelesen.
Danach ging das Manuskript in die Endredaktion. Dort wirft die Lektorin noch einmal einen letzten Blick auf den gesamten Text. Und dann, erst dann, kommt das Korrektorat. Jetzt endlich müssen auch die Rechtschreibfehler dran glauben.
Und beim nächsten Buch?
Wahrscheinlich wird mein nächstes Manuskript genauso bunt zurückkommen wie das letzte, aber diesmal werden andere Dinge angestrichen sein. Das ist nämlich das Wertvolle eines Lektorats: es macht nicht nur bessere Bücher, sondern auch bessere Autoren. Auf einem Seminar sagte eine Lektorin mal, dass es sehr auf das Manuskript ankommt, welche Schwächen sie überhaupt angeht - wenn es an jeder Ecke grundlegende Perspektivfehler oder krumme Bilder gibt, dann bleibt für den Feinschliff einfach weniger Zeit.
Ich bin deswegen fest entschlossen, beim nächsten Buch nicht die gleichen Fehler zu machen.
Nicht weniger Fehler. Andere Fehler.
Mal schauen, ob’s klappt.